Fallbericht: chronische Rückenschmerzen
In diesem Fallbericht werden drei wichtige Punkte bei der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen anhand eines konkreten Falls besprochen. Der Fallbericht richtet sich an Gesundheitsfachpersonal und interessierte Laien.
Abstract
Fallpräsentation: Eine Patientin (Jahrgang 1957) litt seit über drei Jahren an starken Schmerzen im Bereich BWS und HWS.
Behandlung und Resultate: Innerhalb des Befunds zeigten sich symmetrische Triggerpunkte im M. trapezius pars ascendens als Hauptproblem. Nach zwei Behandlungen mit myofaszialer Triggerpunkt-Therapie gingen diese Schmerzen zurück. Darauf wurden weitere Triggerpunkte im M. trapezius pars descendens therapiert, worauf die Patientin schmerzfrei war. Zusätzlich wurden Dehn- und Kräftigungsübungen für den M. trapezius pars ascendens und pars descendens als Heimprogramm instruiert.
Diskussion: Die Patientin wurde während über drei Jahren mehrfach medizinisch untersucht, die BWS lag aber nicht im Fokus dieser Behandlungen, obwohl die Patientin diese als Ursprung der Beschwerden bezeichnet hatte. Drei Lehren für die Praxis lassen sich an diesem Fall exemplarisch aufzeigen:
- Informationen von Patienten betreffend Schmerzen und Beschwerden sind zentral.
- Die Palpation ist ein unersetzliches Diagnoseinstrument.
- Myofasziale Schmerzen sollten nicht unterschätzt werden.
Durch Beachtung dieser grundlegenden Punkte konnte in diesem Fall ein sehr gutes Resultat erzielt werden.
Fallpräsentation
Eine Patientin (Jahrgang 1957) war im November/Dezember 2017 für drei Wochen zur Rehabilitation in der Reha Chrischona. Ihre Hauptdiagnose war onkologisch, weshald sie unter anderem mit MLD und FRZ behandelt wurde. Daneben gab sie aber auch chronische Verspannungen und Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich sowie gelegentliche Verspannungskopfschmerzen an. Als Ursprung des Schmerzes nannte die Patientin zwei Punkte paravertebral auf Höhe der unteren BWS. Seit dem ersten Auftreten dieser Schmerzen nahm die Patientin regelmässig Schmerzmedikamente ein, um schmerzbedingte Arbeitsausfälle zu verhindern. In ihrem Beruf ist die Patientin chronischen Überlastungen ausgesetzt, die zu Triggerpunkten im M. trapezius pars ascendens führen können (Gautschi, S. 190f). Bei der Erstbefundung gab die Patientin an, sich an einen Auslöser der Schmerzen zu erinnern: Während der Arbeit hob sie eine Schachtel von einem Regal, das über ihrer Kopfhöhe angebracht war. Beim Herunterkommen der Arme mit der Schachtel spürte sie einen stechenden Schmerz paravertebral an der BWS. Am folgenden Tag konnte sie ihre BWS nicht mehr aufrichten und ihre Arme nicht mehr heben. Seither waren diese Schmerzen in unterschiedlicher Intensität immer vorhanden, ab und zu wurden sie von Schmerzen im Nacken und Verspannungskopfschmerzen begleitet. Auch nachts waren die Schmerzen so stark, dass die Schlafqualität der Patientin abgenommen hatte. Die Patientin hatte sich wegen dieser Schmerzen mehrmals ärztlich untersuchen lassen. Im Verlauf dieser Behandlungen wurde unter anderem ein CT gemacht, bei welchem die Zufallsdiagnose Diskushernie im Bereich der HWS gestellt wurde. Die Patientin hatte diesem Zeitpunkt bereits Verspannungen im Nackenbereich mit ausstrahlenden Schmerzen in beide Arme. Aus diesem Grund wurde diskutiert, die Diskushernie im Bereich der HWS zu operieren. Dies hat die Patientin aber abgelehnt. Darauf wurde ihr empfohlen, die Schmerzen ausschliesslich mit Schmerzmedikamenten zu behandeln.
Behandlung und Resultate
Nach der Erstbefragung erfolgte unter anderem eine Palpation, bei welcher sich schmerzhafte Punkte im M. trapezius pars ascendens ca. auf der Höhe des 10. Brustwirbels ca. 3-5 cm paravertebral befanden. Da sich diese Punkte in einem Hartspannstrang befanden, höchst druckdolent waren und die bekannten Schmerzen der Patientin auslösten, konnten sie als Triggerpunkte bezeichnet werden (Gautschi, S. 14). Die Patientin konnte sich klar erinnern, dass ihre Rückenprobleme mit den Schmerzpunkten an diesen Stellen begonnen hatten, es handelte sich also um primäre Triggerpunkte (Gautschi, S. 588). Die Behandlung bestand aus einer Kombination aus klassischer Massage und Triggerpunkt-Therapie nach Gautschi. Zuerst wurden die beiden symmetrischen Triggerpunkte an der BWS behandelt, da es sich bei ihnen um die primären Triggerpunkte handelte. Bereits nach der ersten Behandlung war eine deutliche Reduktion der Schmerzen erreicht. Die Patientin gab am folgenden Tag an, gut geschlafen zu haben. Die Behandlung wurde wiederholt und erzielte eine weitere Reduktion der Schmerzen. Bei der dritten bis sechsten Behandlung wurde die sekundären Triggerpunkte im Nackenbereich behandelt, welche sich im M. trapezius pars descendens befanden. Auch hier konnte schnell eine Schmerzreduktion erzielt werden. Zuerst klagte die Patientin noch über Kopfschmerzen direkt nach dem Aufstehen jeweils am Tag nach einer Behandlung. Im Verlauf der weiteren Behandlungen verschwanden aber auch diese Beschwerden und die Patientin gab an, sich allgemein besser und weniger niedergeschlagen zu fühlen und auf Schmerzmittel verzichten zu können. In einer Abschlussbehandlung wurde der gesamte Rücken noch einmal mit klassischer Massage behandelt. Im Verlauf der Behandlungen erhielt die Patientin auch Informationen zur Pathophysiologie von myofaszialen Triggerpunkten sowie ein Heimprogramm mit Dehn- und Kräftigungsübungen (Gautschi, S. 190f). Insgesamt wurden sieben Behandlungen à 30 Minuten durchgeführt (alle im Sitzen mit einem Kissen zum Abstützen der Arme). Dabei handelte es sich um klassische Massage in Kombination mit Triggerpunkt-Therapie nach Gautschi. Die Erstbefundung sowie fünf der Behandlungen wurden von einer Med. Masseurin EFA, zwei der Behandlungen von einer Med. Masseurin EFA in Ausbildung durchgeführt.
Diskussion
Die Patientin wurde während über drei Jahren mehrfach medizinisch untersucht. Bei diesen Behandlungen lag der Fokus nicht auf der BWS, obwohl die Patientin diesen Bereich als Auslöser ihrer Beschwerden immer angab. Drei Lehren für die Praxis lassen sich an diesem Fall exemplarisch aufzeigen:
- Wenn Patienten genaue Angaben zu ihren Schmerzen machen können, lohnt es sich immer, diesen Angaben nachzugehen, sie ernst zu nehmen, entsprechend zu untersuchen und gegebenenfalls zu behandeln. Solche Angaben von Patienten sind zentral: sie ermöglichen ein Clinical Reasoning.
- Die Palpation ist ein einfaches, günstiges und äusserst effizientes Diagnoseinstrument. Durch Palpation kann eine myofasziale Problematik schnell und zuverlässig festgestellt oder ausgeschlossen werden. Bildgebende Verfahren wie CT oder MRI ersetzen die Palpation nicht.
- Myofasziale Schmerzen sollten nicht unterschätzt werden: sie können Ursache eines chronischen Schmerzsyndroms sein.
Der vorliegende Fall zeigt klar auf, dass diese einfachen Punkte in der Praxis oft zu wenig Beachtung finden. Im vorliegenden Fall hat die Patientin drei Jahre lang unnötige Schmerzen erlitten und war gezwungen, Schmerzmedikamente einzunehmen, um arbeitsfähig zu bleiben. Hätte sie sich nicht gegen eine Operation entschieden, wäre an ihrer HWS eventuell ein nicht indizierter operativer Eingriff vorgenommen worden, der risikoreich, aber für ihre Beschwerden irrelevant gewesen wäre. Mit Hilfe der oben genannten Behandlungsaspekte war es möglich, auf effiziente und kostengünstige Weise sehr positive Resultate zu erzielen. Myofasziale Schmerzen werden immer wieder unterschätzt (siehe Punkt 3 oben). Diese Erkenntnis ist auch in der Literatur zu finden (Kraus, Fischer: 1991) und wird vom vorliegenden Fall gestützt.
Vielen Dank an Simone Albert, 2017 meine Vorgesetzte in der Reha Chrischona. Ihre Korrekturen, Hinweise und Ergänzungen wurden in diesen Text eingearbeitet.
Die Patientin hat ihr Einverständnis zur Erstellung dieses Fallberichts gegeben (11/2017).
Quellen
- Gautschi, Roland: Manuelle Triggerpunkt-Therapie. Myofasziale Schmerzen und Funktionsstörungen erkennen, verstehen und behandeln, 2., aktualisierte Auflage, Georg Thieme Verlag: 2010
- Kraus H, Fischer AA. Diagnosis and treatment of myofascial pain. Mt Sinai J Med. 1991 May; 58(3): 235-9