Viel mehr als kaltes Wasser: Kneipp
Wieso gerade Kneipp? Könnte man fragen. Für mich ist der wichtigste Grund, dass Kneipps ganzheitliches Gesundheitskonzept eine Alternative bietet zu einer Entwicklung, die ich in meinem Alltag immer öfter beobachte: die einen kümmern sich um ihre Gesundheit überhaupt nicht, die anderen sind ängstlich und ständig besorgt um ihre Gesundheit: die einen sind schlafgestört, fehlernährt, gestresst, unterbewegt, überalkoholisiert und natürlich konstant reizüberflutet. Die anderen scheinen gar nichts mehr zu tun, ohne sich vorher zu vergewissern, dass es ihnen nicht schaden könnte. Da wird gejoggt, geturnt, gefastet, gedetoxed, ge-anti-aged und früh zu Bett gegangen, was das Zeug hält. Wo bleibt da der goldene Mittelweg? Kneipp bietet ihn an, finde ich.
Kneipps Gesundheitskonzept wird alle die ansprechen, die zwar gerne etwas für ihre Gesundheit tun, es aber dabei auch nicht übertreiben wollen. Was er empfiehlt, ist nämlich nicht nur ganzheitlich, sondern auch ziemlich “auf dem Boden geblieben”, kommt völlig ohne übertriebene Strapazen oder Torturen aus, ist günstig, einfach und erst noch genussbasiert! Wenn das nicht Lust macht, die Sache einmal genauer anzuschauen… Die fünf Säulen des kneippschen Gesundheitskonzepts sind: Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung und Balance. So einfach das klingt, ist es auch.
Wasser
Die warme Dusche mit einem kalten Guss abschliessen, das ist nicht nur wunderbar belebend und regt das Immunsystem an, ganz nebenbei ist es auch noch das perfekte Training für unsere Blutgefässe: diese weiten sich unter warmem Wasser aus und ziehen sich unter kaltem Wasser wieder zusammen. Das abwechselnde Ausweiten und Zusammenziehen der Blutgefässe hält diese geschmeidig und fördert so eine gute Versorgung des ganzen Körpers. Dazu fliesst Blut in kalt abgegossenen Beinen einfacher zurück zum Herzen und wirkt so Krampfadern entgegen (daher bei wechselwarmen Duschen immer warm anfangen und kalt abschliessen). Tipp: Wer mit den kalten Güssen anfangen möchte, startet am besten nur mit den Füssen und Unterschenkeln. Wenn das geht, kann vorsichtig gesteigert werden, bis der ganze Körper nach einer warmen Dusche kalt abgegossen wird. Das dauert höchstens 10-15 Sekunden, nicht länger! Denn Kneipp empfiehlt milde Reize, nicht den Holzhammer. Idealer Startzeitpunkt ist übrigens im Sommer, da kommt das Wasser nicht mehr ganz so eiskalt aus dem Hahn, was den Einstieg erleichtert! Genusstipp: Ein besonders schönes Erlebnis ist das Tautreten. Früh morgens barfuss über taufrisches Gras laufen und dabei spüren, wie Füsse und Körper belebt werden. Das Tautreten geht nur 2-3 Minuten. Danach sofort warme, trockene Socken anziehen und 10 Minuten zügig gehen. So wird der Körper erwärmt und ein erfrischtes Gefühl stellt sich ein. Ein wunderschöner Start in den Tag!
Pflanzen
Kneipp hat die Wirkung von verschiedenen einheimischen Pflanzen jahrelang erforscht und herausgefunden, wie man sie konkret anwenden kann. Sei es ein Senfwickel bei Erkältungen oder ein Tee aus Salbei und Wermut bei Magenbeschwerden, seine Phytotherapie kann vielfältig eingesetzt werden und ist erst noch günstig. Tipp: Eine von Kneipps Lieblingspflanzen ist die Arnikablume. Das Öl, das aus der Blume gewonnen wird, wirkt muskellösend und schmerzlindernd. Ich verwende Arnikaöl so gut wie täglich, um meine Triggerpunkt-Therapie zu unterstützen. Sie können es auch selber zuhause ausprobieren! Genusstipp: In Ihrem eigenen Hochbeet können Sie Kräuter selber ziehen, täglich ernten und geniessen. Frischer geht nicht!
Bewegung
Vor allem bei diesem Thema wird klar, wie sehr Kneipp seiner Zeit voraus war. Während es im 19. Jahrhundert noch angesehen war, sich möglichst wenig zu bewegen, um seinen Körper zu schonen, empfahl er schon zu dieser Zeit allen Menschen, sich regelmässig zu bewegen: unabhängig vom Alter und Gesundheitszustand. Was jedoch bei Kneipp sehr wichtig ist, man ahnt es, ist das Mass. Es muss nicht für alle Menschen der Marathon sein: gerade Alltagsbewegung wie Treppensteigen oder Spazierengehen stehen bei Kneipp hoch im Kurs. Wenn die Sonne scheint, einfach mal nicht ins Tram steigen, sondern sich Zeit nehmen und genüsslich spazieren, das ist wie Mini-Ferien mitten im Tag. Tipp: Statt einer quälenden Trainingseinheit pro Woche im Fitness-Studio mit anschliessendem Muskelkater lieber mal jede Treppe steigen, die einem die Quere kommt oder täglich eine Stunde in Ruhe spazieren. Am besten gibt man sich für das Experiment einen Monat Zeit und spürt dann, wie der Körper sich anfühlt: es kann sehr gut sein, dass man sich danach auch weiterhin täglich mit Mass bewegen möchte. Genusstipp: Warum nicht einen Tanzkurs besuchen? Hier treffen Bewegung, Ausdruck und die Liebe zur Musik aufeinander, eine wunderbare Mischung!
Ernährung
Kneipp war alles andere als ein Asket. In seinen Empfehlungen zur Ernährung finden sich weder viele Gebote noch Verbote. Was er vorschlägt, ist eine ausgewogene, pflanzenlastige (aber nicht zwingend vegetarische) Ernährung, die täglich frisch zubereitet wird. Damit alles frisch ist, sollten Zutaten nicht von allzu weit herkommen. Als Getränk empfiehlt er (kaum erstaunlich) Wasser, spricht er ja dem Wasser eine spezielle Heilkraft zu. Dem einen oder anderen Glas Wein oder Bier ist aber überhaupt nicht abgeneigt. Auch hier gilt bei Kneipp: Mass halten ist das Wichtigste. Tipp: Kneipps Vorschläge zur Ernährung richten sich primär an Gesunde, haben also prophylaktischen Charakter. Wenn Ihre Fragen zur Ernährung komplex sind oder Sie an einer Krankheit leiden, kann eine Ernährungsberaterin eher weiterhelfen. Die Ernährungsberatung kann unter Umständen von der Krankenasse abgerechnet werden. Genusstipp: Wieso nicht einmal eine gewisse Zeit lang auf Alkohol oder Kaffee verzichten? Als Experiment kann das sehr interessant sein und: der Genuss nach einer gewissen Zeit des Verzichts wird auf jeden Fall intensiver sein!
Balance
Was wir heute Work-Life-Balance nennen, war für Kneipp “Lebensordnung”. Zusammengefasst könnte man sagen, dass die ersten vier Säulen seines Gesundheitskonzepts, wenn sie auf einander abgestimmt sind, quasi automatisch dazu führen, dass eine gewisse ordentliche Struktur entsteht, welche für die Vertrautheit und Stabilität sorgt, die wir brauchen, um uns wohl zu fühlen und gesund zu bleiben. Was die Spiritualität angeht, leben wir natürlich in einer anderen Zeit als Kneipp. In unserer heutigen säkularisierten Gesellschaft spielt die Religion eine untergeordnete Rolle, aber wir können Ruhe und Besinnlichkeit auch ausserhalb von Kirchen finden, sei es bei einem Waldspaziergang oder beim Hören von schöner Musik. Dies wäre sicher auch in Kneipps Sinn gewesen, hat er doch von jeglicher Frömmelei klar abgeraten. Tipp: Reduzieren Sie eine Zeit lang Ihre Bildschirmzeit (ausserhalb der Arbeit) und staunen Sie, welch erfrischenden Wirkung das haben kann! Genusstipp: Weniger kann wirklich mehr sein! Gönnen Sie sich ein Wochenende ohne soziale Medien und treffen Sie sich stattdessen persönlich mit Freunden (natürlich immer unter Einhaltung der Corona-Massnahmen).
Fazit
Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung, Balance: das ist also das kneippsche Gesundheitskonzept. Er hätte es vielleicht gar nicht “Konzept” genannt, für ihn wäre es vielleicht genug gewesen, zu betonen, wie wichtig die Gesundheit ist und wie einfach die Massnahmen sind, mit denen wir sie unterstützen und erhalten können. Nicht umsonst ist eines seiner berühmtesten Zitate:
“Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern.”
Quellen
- Kursbuch Kneipp: Der moderne Familienratgeber für Wasseranwendungen, Ernährung, Bewegung, Kräuterheilkunde, Kneipp Verlag, 2013
- www.kneipp.com