Fallbericht: Schmerzfreiheit selber aufrecht erhalten
In diesem Fallbericht werden zwei wichtige Punkte zum Thema “Erhalt von Schmerzfreiheit” anhand eines konkreten Falls besprochen. Der Fallbericht richtet sich an Gesundheitsfachpersonal und interessierte Laien.
Abstract
Fallpräsentation: Ein Patient (Jahrgang 1968) litt seit einigen Wochen an Schmerzen und Schwellungen beider Hände und Unterarme. Die ärztliche Diagnose lautete “Lymphstau der Hände”, entsprechend war “Lymphdrainage und med. Massage der Hände” verordnet worden.
Behandlung und Resultate: Durch Behandlungen am Schultergürtel, welche vom Pat. angeregt worden waren, und durch die vom Pat. selbstständig durchgeführten Übungen konnten die Schmerzen massiv gelindert und die Therapiefrequenz von 2x40’/Woche auf 1x60’/Monat reduziert werden.
Diskussion: Zwei Punkte werden an diesem Fall exemplarisch dargelegt. 1) Informationen von Patienten betreffend Schmerzen und Beschwerden können für den Therapieerfolg absolut zentral sein. 2) Sehr simple Mobilisationen — selbstständig zuhause ausgeführt— können einen nicht zu unterschätzenden positiven Effekt zeigen, und zwar nicht nur bei der Schmerzbekämpfung, sondern auch beim Erhalt von einmal erlangter Schmerzfreiheit, sowie beim Vermeiden einer Therapie- und/oder Medikamenten-Abhängigkeit.
Fallpräsentation
Ein Patient (Jahrgang 1968) wurde mit der Diagnose Lymphstau an den Händen überwiesen. Die Schwellung war am Tag des Erstbefundes schon gut rückläufig. Trotzdem wurden an Händen und Armen Umfangmessungen gemacht. Hautverschiebbarkeit war gut und deutete nicht auf ein lymphatisches Problem hin. Die Schmerzen in den Händen und Unterarmen wurden als Hauptproblem definiert: sie stiegen bis NRS 9/10 an und führten dazu, dass der Pat. ab und zu Ibuprufen nehmen musste. Der Pat. hatte unauffälligen Allgemein- und Ernährungszustand. Beruflich und sozial war er gut integriert, er hatte in früheren Jahren viel Sport gemacht (Handball, Faustball), zum Zeitpunkt der Behandlungen aber weniger. Die Schmerzen und Schwellungen an beiden Händen, die sehr plötzlich aufgetaucht waren, hatten ihn in ihrer Heftigkeit überrascht.
Behandlung und Resultate
In den ersten zwei Behandlungen wurde eine manuelle Lymphdrainage beider Arme (in Richtung der jeweils ipsilatieralen Axilla) durchgeführt. Danach war der Abschwellungsprozess abgeschlossen. Der Pat. trug Kompression (Handschuhe bds.), was diesen Prozess sicher erleichterte. Da er die Kompressionshandschuhe weiter trug, konnte das Risiko eines erneuten Anschwellens minimiert werden. Seine Schmerzen in Händen und Unterarmen persistierten aber nach den ersten zwei Behandlungen. Ein Palpationsbefund der oberen Extremitäten ergab Triggperpunkte in den Unterarmextensoren bds. sowie an beiden Thenaren. Dazu waren die Artt. MCP und PIP II-IV bds. sehr druckolent. Entsprechend wurde im FolgendenTriggerpunkt-Therapie nach Gautschi und Querfriktionen an den erwähnten Strukturen durchgeführt. Im Verlauf der nächsten drei Behandlungen waren die Beschwerden zuerst linksbetont, danach schwankten sie zwischen links- und rechtsbetont. Eine erste leichte Schmerzreduktion konnte nach drei Behandlungen zwar beobachtet werden, diese war jedoch nicht nachhaltig. Auf Wunsch des Patienten, der den Ursprung der Problematik im Schulter-/Nackenbereich vermutete, wurde der Fokus ab der sechsten Behandlung auf diese Region verlegt. Ein weiterer Palpationsbefund ergab eine deutlich reduzierte Hautverschiebbarkeit im gesamten Schultergürtel sowie Triggerpunkte im M. trapezius pars descendens und ascendens bds. Dazu kamen Druckdolenzen paravertebral auf Höhe BWS bds. sowie am Occiput bds. Entsprechend wurden diese Strukturen mit Triggerpunkt-Thearpie und Querfriktionen behandelt. Am Folgetag beobachtete der Patient zuerst eine klassische Erstverschlechterung der Schmerzen in seinen Händen. Nach zwei Tagen verbesserte sich der Zustand aber erstmals deutlich. Die Behandlung im Schulter-/Nackenbereich wurde wiederholt. Zur Verbesserung der Hautverschiebbarkeit des gesamten Schultergürtels wurde nun auch eine Schröpfmassage des ganzen Schulterbereichs durchgeführt. Interessanterweise spürte der Pat. während und auch unmittelbar nach der Schröpfbehandlung der Schultern intensive Ausstrahlungen und Schmerzen bis in die Finger. Am Folgetag waren die Handschmerzen jedoch auf NRS 0/10 reduziert. Als Experiment führte der Pat. nun jeden Morgen einfache, leichte Mobilisierungen der Schultergelenke durch (Armkreisen bds. vorwärts und rückwärts). Dies führte dazu, dass eine morgendliche Steife im Schulter-/Nackenbereich gelöst wurde und er jeweils den ganzen Tag keine Schmerzen in den Händen hatte. Die Behandlungsfrequenz konnte daraufhin von 2x40’/Woche auf 1x60’/Monat reduziert werden. Seither bestehen die Behandlungen vor allem aus klassischer Massage des Rückens und einer Schröpfmassage des Schultergürtels. Diese Behandlungen werden durch die täglich durchgeführten Eigenübungen des Pat. optimal ergänzt und führen dazu, dass seine Schmerzen im Normalfall um NRS 1-2/10 pendeln, und nicht mehr über NRS 3/10 ansteigen.
Diskussion
Zwei Punkte können an diesem Fall exemplarisch aufgezeigt werden:
Erstens, es lohnt sich immer, die Vermutungen von Pat. betreffend den Ursprung ihrer Beschwerden anzuhören und ernst zu nehmen. Es mag erstaunen, dass dieser Punkt immer wieder betont werden muss (scheint es doch eigentlich selbstverständlich, dass Pat. angehört und ernst genommen werden sollten). Die Erfahrung zeigt aber, dass auf Therapeutenseite ein Spannungsfeld besteht zwischen dem Konzept der therapeutischen Führung und dem Konzept des vertrauensbasierten, kooperativen Umgangs mit PatientInnen. Was dabei oft verkannt wird: Traut eine Therapeutin ihrem Patienten zu, dass er aufgrund seines Körperempfindens bei der Gestaltung des Therapiekonzepts mitwirken kann, heisst dies noch lange nicht, dass sie somit automatisch jegliche therapeutische Führung aufgegeben hat. Im Gegenteil: sie entscheidet, auf welche Anregungen von Pat. eingegangen werden soll und auf welche nicht. Sie kann Anregungen auch ergänzen und damit ihren Beitrag zum Therapieerfolg leisten. Im vorliegenden Fall hätte die Therapeutin von sich aus den Schultergürtel nicht behandelt. Einmal an der Schulter war es aber die Therapeutin, welche die reduzierte Hautverschiebbarkeit feststellte und so die Behandlung mit Schröpfmassage vorschlagen konnte, welche dann die deutlichste Reduktion der Schmerzen zur Folge hatte. Dieser Therapieerfolg ist nur aufgrund einer kooperativen Vorgehensweise zustande gekommen.
Auch der zweite Punkt scheint selbsterklärend, geht aber im Therapiealltag allzuoft vergessen: durch einfache, sanfte, aber regelmässig durchgeführte Mobilisationen können auch massive Schmerzen nachhaltig gelindert werden. Im vorliegenden Fall konnten Schmerzen in den Händen und Unterarmen von NRS 9/10 auf NRS 1-2/10, höchstens NRS 3/10 reduziert werden. Dadurch konnte die Therapiefrequenz von anfänglich 2x40’/Woche auf 1x60’/Monat reduziert werden. Natürlich ist es nicht in jedem Fall möglich, so beeindruckende Erfolge mit Übungen und Eigenbehandlungen zu erreichen. Je multimorbider PatientInnen sind, desto schwieriger ist es, das Konzept “Eigenbehandlung ersetzt Therapie” umzusetzen. Dazu ist es auch von der Compliance und Selbstdisziplin der PatientInnen abhängig. Einen Versuch ist es aber immer wert: zu passiven physikalischen Massnahmen wie Massagen oder Triggerpunkt-Thearpie sollten aktive Übungen und Eigenbehandlungen immer instruiert und empfohlen werden: nicht umsonst sind Technik V und VI von Roland Gautschis Triggerpunkt-Therapie Selbstdehnung und funktionelles Training — beides Eigenübungen für PatientInnen. Im besten Fall kann auf diese Art nicht nur die Therapiefrequenz reduziert, sondern auch das vielbeschworene “Patient Empowerment” optimal realisiert werden.
Der Patient hat sein Einverständnis zur Veröffentlichung dieses Fallberichts gegeben (02/2021).
Quelle
- Gautschi, Roland: Manuelle Triggerpunkt-Therapie. Myofasziale Schmerzen und Funktionsstörungen erkennen, verstehen und behandeln, 2., aktualisierte Auflage, Georg Thieme Verlag: 2010