Massagetherapie: Erfahrung trifft auf Wissenschaft
Ok, ich gebe es zu: bei meiner Entscheidung, Masseurin zu werden, haben die Naturwissenschaften keine Rolle gespielt. Ich wollte etwas Handfestes lernen und jeden Tag ganz konkret etwas Positives bewirken. Was die Naturwissenschaft zur Med. Massage zu sagen hatte, wusste ich nicht und es war mir auch nicht sehr wichtig.
Erst später, als ich die Ausbildung bereits abgeschlossen hatte und mich im Arbeitsalltag wiederfand, wurde mir bewusst, wie wichtig es in der Medizin ist, Therapien auf die Grundlage von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stellen zu können. Im Klartext: was hunderte von Patienten sagen, zählt nicht, wenn es nicht auch eine naturwissenschaftliche Studie gibt, die es belegen kann.
Einerseits ist das doch seltsam. Es scheint mir manchmal, dass wir dermassen verlernt haben, unsere eigenen Körper zu spüren und unserer Wahrnehmung zu vertrauen, dass wir für die offensichtlichsten Dinge des Lebens eine Studie brauchen. Eine gute Massage lindert Schmerzen und reduziert Stress: wieso braucht es Evidenz für etwas, das so einfach am eigenen Körper nachzuspüren ist?
Andererseits ist es natürlich wichtig, dass Patienten kritische Fragen stellen. Wieso soll jemand einfach glauben, dass Massagen schmerzlindernd oder entspannend wirken? Man könnte auch fragen: gibt es nicht andere Therapieformen, die besser, schneller oder günstiger sind? Was ist mit Risiken und Nebenwirkungen? Und wenn die Massagetherapie so wirksam ist, dann sollte es ja auch nicht schwierig sein, dies in einer medizinischen Studie hieb- und stichfest nachzuweisen.
Und hier wird es interessant, denn ja: das kann man natürlich. Es gibt unzählige Studien, welche die verschiedenen Wirkweisen der Massagetherapie belegen. Auf einer Weiterbildung diesen Februar hatte ich die Gelegenheit, einen ganzen Tag lang nichts anderes zu tun, als medizinische Studien zu genau diesem Thema kennenzulernen. Zusammengefasst lässt sich sagen: die Massagetherapie hat vielfältige wissenschaftlich bestätigte positive Wirkungen auf Körper und Psyche. Hier einige Beispiele:
- Massagen fördern die Durchblutung
- Massagen erhöhen Oxytocin, Dopamin und Serotonin (alles “Wohlfühlhormone”)
- Massagen senken Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin (alles “Stresshormone”)
- Massagen verbessern das Immunsystem
- Massagen wirken blutdrucksenkend - bis 72h nach der Behandlung
- Massagen helfen bei Muskelkater (die Mikroverletzungen im Gewebe heilen schneller)
- Massagen reduzieren Ängstlichkeit, Ärger und Depressivität
- Massagen erhöhen die positive Befindlichkeit
- Massagen helfen frühgeborenen Babies, sich schneller zu entwickeln
Bei den meisten der Studien, die wir an der Weiterbildung angeschaut haben, wurde die Massagetherapie (randomisiert) mit anderen Methoden sowie einer Kontrollgruppe ohne Therapie verglichen und hat gut oder besser als andere Methoden oder keine Intervention abgeschnitten. Natürlich braucht es mehr Studien zu diesem spannenden Thema.
Wie gesagt, für mich ist es sowieso offensichtlich, dass die Massagetherapie (eine der ältesten Therapieformen überhaupt) positive Wirkungen hat und dass es gute Gründe gibt, warum sie sich steter Beliebtheit erfreut. Die Massagetherapie ist eine effektive, schnelle und kostengünstige Behandlungsform. Aber es ist natürlich gut zu wissen, dass auch naturwissenschaftliche Studien belegen, dass dies so ist. Es stärkt uns Masseurinnen den Rücken, zu wissen, dass unsere Behandlungen auf einer soliden, naturwissenschaftlich belegbaren Basis stehen.
Quellen zu den oben genannten Effekten (nach Stichworten sortiert):
- Durchblutung: Sefton JM, Yarar C, Berry JW, Pascoe DD. Therapeutic massage of the neck and shoulders produces changes in peripheral blood flow when assessed with dynamic infrared thermography. J Altern Complement Med. 2010 Jul;16(7):723-32. doi: 10.1089/acm.2009.0441. PMID: 20590481.
- Hormonelle Effekte: Morhenn V, Beavin LE, Zak PJ. Massage increases oxytocin and reduces adrenocorticotropin hormone in humans. Altern Ther Health Med. 2012 Nov-Dec;18(6):11-8. PMID: 23251939.
- Hormonelle Effekte, Schmerzempfinden und ROM: Hernandez-Reif M, Field T, Krasnegor J, Theakston H. Lower back pain is reduced and range of motion increased after massage therapy. Int J Neurosci. 2001;106(3-4):131-45. doi: 10.3109/00207450109149744. PMID: 11264915.
- Hormonelle Effekte und Immunsystem: Rapaport MH, Schettler P, Breese C. A preliminary study of the effects of a single session of Swedish massage on hypothalamic-pituitary-adrenal and immune function in normal individuals. J Altern Complement Med. 2010 Oct;16(10):1079-88. doi: 10.1089/acm.2009.0634. PMID: 20809811; PMCID: PMC3107905.
- Hormonelle Effekte und Immunsystem: Hernandez-Reif M, Ironson G, Field T, Hurley J, Katz G, Diego M, Weiss S, Fletcher MA, Schanberg S, Kuhn C, Burman I. Breast cancer patients have improved immune and neuroendocrine functions following massage therapy. J Psychosom Res. 2004 Jul;57(1):45-52. doi: 10.1016/S0022-3999(03)00500-2. PMID: 15256294.
- Immunsystem: Shor-Posner G, Hernandez-Reif M, Miguez MJ, Fletcher M, Quintero N, Baez J, Perez-Then E, Soto S, Mendoza R, Castillo R, Zhang G. Impact of a massage therapy clinical trial on immune status in young Dominican children infected with HIV-1. J Altern Complement Med. 2006 Jul-Aug;12(6):511-6. doi: 10.1089/acm.2006.12.511. PMID: 16884341.
- Blutdruck (ohne Kontrollgruppe): Chen WL, Liu GJ, Yeh SH, Chiang MC, Fu MY, Hsieh YK. Effect of back massage intervention on anxiety, comfort, and physiologic responses in patients with congestive heart failure. J Altern Complement Med. 2013 May;19(5):464-70. doi: 10.1089/acm.2011.0873. Epub 2012 Nov 27. PMID: 23186129; PMCID: PMC3651680.
- Blutdruck bis 72h nach Massage (mit Kontrollgruppe): Givi M, Sadeghi M, Garakyaraghi M, Eshghinezhad A, Moeini M, Ghasempour Z. Long-term effect of massage therapy on blood pressure in prehypertensive women. J Educ Health Promot. 2018 Apr 3;7:54. doi: 10.4103/jehp.jehp_88_16. PMID: 29693035; PMCID: PMC5903169.
- Muskelkater: Crane JD, Ogborn DI, Cupido C, Melov S, Hubbard A, Bourgeois JM, Tarnopolsky MA. Massage therapy attenuates inflammatory signaling after exercise-induced muscle damage. Sci Transl Med. 2012 Feb 1;4(119):119ra13. doi: 10.1126/scitranslmed.3002882. PMID: 22301554.
- Steigerung der Entspannung sowie Reduktion von Ängstlichkeit: Buttagat V, Eungpinichpong W, Kaber D, Chatchawan U, Arayawichanon P. Acute effects of traditional Thai massage on electroencephalogram in patients with scapulocostal syndrome. Complement Ther Med. 2012 Aug;20(4):167-74. doi: 10.1016/j.ctim.2012.02.002. Epub 2012 Mar 2. PMID: 22579427.
- Massage bei frühgeborenen Babies: Taheri PA, Goudarzi Z, Shariat M, Nariman S, Matin EN. The effect of a short course of moderate pressure sunflower oil massage on the weight gain velocity and length of NICU stay in preterm infants. Infant Behav Dev. 2018 Feb;50:22-27. doi: 10.1016/j.infbeh.2017.11.002. Epub 2017 Nov 7. PMID: 29126078.
Weitere Quellen:
- Website des Dozenten Bernhard Reichert
- Bildnachweis: Lucas Vasques