Gute Laune: wie viel darfs denn sein?
Eine aufgestellte, gutgelaunte und hilfsbereite Therapeutin ist doch das Beste, was einem überhaupt passieren kann, wenn man sich in Behandlung begeben muss, könnte man meinen: doch der Schein trügt. Nicht immer ist der “Sonnenschein” an der Massagebank gefragt und zuweilen kann er sogar für Missstimmung während der Behandlung sorgen. Aus welchen Gründen das so ist, kann ich nicht sagen (das ist auch nicht meine Aufgabe), aber festgestellt habe ich es und nun habe ich für mich einen Weg gefunden, mit solchen Situationen besser umzugehen, wenn sie auftreten.
Ich mache am besten mal ein Beispiel. Die folgende Szene könnte sich abspielen, nachdem ich die Patientin bei mir angekommen ist, ich sie gefragt habe, wie es ihr geht, welche Behandlung heute gemacht werden soll und nachdem sie gut gelagert und ohne zu frieren auf der Massagenank liegt. Nach einigen Momenten der Stille geht der Dialog los.
Patientin: Und wie geht es denn Ihnen?
Ich (mit freudiger Stimme): Wunderbar, vielen Dank!
Patientin: Aber das Wetter ist ja nicht gerade besonders.
Ich: Nein, aber wir arbeiten ja drinnen an der Wärme.
Patientin: Aber die Situation mit COVID ist schon schlimm für Ihre Brachne, nicht?
Ich: Da bin ich nicht so sicher. Wir dürfen ja seit Ende April 2020 durchgängig arbeiten, so gesehen geht es anderen Branchen schlechter.
Patientin: Aber am Abend so lange zu arbeiten, das ist doch schon mühsam, nicht?
Ich: Es geht. Ich habe oft am Nachmittag lange Pausen und kann spazieren gehen oder lesen. Ausserdem musste ich früher als Angestellte auch am Samstag arbeiten, in meiner eigenen Praxis ist das nicht mehr nötig. Da bin ich schon sehr dankbar.
Die Patientin seufzt, sagt nichts mehr. Der Rest der Behandlung findet in angespannter Stille statt. Was zum Teufel läuft hier falsch? denke ich. Oder dachte ich bis vor Kurzem. Denn heute ist mir klar: in diesen Situationen kann es hilfreich sein, wenn man das Glück über seine eigene gute Lage nicht so demonstrativ zur Schau stellt. Natürlich bin ich dankbar dafür, dass es mir momentan gut geht, natürlich möchte meine Dankbarkeit darüber auch ausdrücken. Und natürlich habe ich nicht vor, mich in eines jener unsäglichen “Motzmonster” zu verwandeln, die in allem immer nur ihren Nachteil sehen und sich in allem übergangen fühlen. Soweit wird es hoffentlich nicht kommen. Aber: bei gewissen Patienten kommt es einfach nicht gut an, wenn man einen allzu glücklichen Eindruck macht. Wie bereits gesagt: weshalb das so ist, kann ich nicht beantworten, aber es scheint so. Und so versuche ich also seit einiger Zeit, auf die Bedürfnisse dieser Menschen besser einzugehen. Dialoge wie der obige sehen dann eher so aus:
Patientin: Und wie geht es denn Ihnen?
Ich: Gut, danke.
Patientin: Aber das Wetter ist ja nicht gerade besonders.
Ich: Da haben Sie schon Recht, mir schlägt dieser Nebel mitten im Sommer manchmal auch auf die Stimmung. Wie geht es Ihnen damit?
Patientin: Ja, es ist grausam, wenn ich am Morgen aus dem Fenster schaue. Aber immerhin sind wir ja hier drinnen an der Wärme.
Ich: Genau. Haben Sie auch warm genug?
Patientin: Ja, vielen Dank.
Indem ich der Patientin Recht gebe und auch etwas von mir preisgebe, schaffe ich einen gemeinsamen Boden, von dem der Austausch weitergehen kann. (Wichtig dabei: ich gehe nicht soweit, zu lügen. Ich versuche, einen gemeinsamen Nenner zu finden, aber nicht um jeden Preis.) Und das Beste an diesem Beispiel: nachdem ich die Patientin zuerst bestätige, erkennt sie sogar selber das Positive an der Situation, dass wir nämlich drinnen an der Wärme sind und es uns gut geht.
Nach dem zweiten Dialog tritt auch wieder Stille ein, aber diesmal ist sie nicht angespannt, sondern gelöst. Die Behandlung geht ohne weitere Probleme von statten und am Schluss verabschiedet sich die Patientin und verlässt die Praxis sichtlich gut gelaunt.